Hotel Marina Lučica

Der Tourismus brachte nicht nur Millionen deutscher Mark, italienischer Lira, US-Dollars und andere für die sozialistische Wirtschaft Jugoslawiens unverzichtbare harte Währung ein, sondern war gleichzeitig ein Raum für die Interaktion mit der Welt—ein Ort der Begegnung mit ungewöhnlichen Ausländern und ihren ungewöhnlichen Kulturen, aber auch ein Vorführraum für die politische Offenheit des ungewöhnlichen Jugoslawiens, einem Niemandsland zwischen Ost und West. Heute, wo die jugoslawischen Völker in Hass schwelgen und serbische Touristen auch zwanzig Jahre nach dem Ende der Jugoslawienkriege in Kroatien nicht willkommen sind, klingt es unglaublich, dass in den 1960er-Jahren, nur fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Deutsche und Italiener (die notabene gerade in Dalmatien einige der grausamsten Verbrechen begangen haben) nicht nur willkommen, sondern auch die häufigsten Gäste in den Hotels Dalmatiens waren. Und es war in diesem Jugoslawien, einer freizügigen Insel im kommunistischen Osten, dass die FKK-Mode inmitten der rasanten Entwicklung des Tourismus zusammen mit anderen Wundern des Westens Einzug hielt: Coca-Cola, Rock
’n’ Roll und „la dolce vita“. Es ist nur scheinbar paradox, dass die sozialistische Gesellschaft Jugoslawiens damals viel offener und empfänglicher für diese freiheitsliebenden, „dekadenten“ Trends war als heute.

Zu der Zeit, als das Marina Lučica eröffnet wurde, fuhren meine Schwester und ich jedes Jahr mit unseren Eltern in den Sommerurlaub nach Komiža auf der Insel Vis. Unsere Eltern waren keineswegs fortschrittliche, liberale Intellektuelle—im Gegenteil, unser Vater war ein klassischer sozialistischer Proletarier, ein Arbeiter auf der Werft und überzeugter Kommunist, während unsere Mutter eine bescheiden gebildete Angestellte aus einer katholischen Familie war. Und doch badeten sie gemeinsam mit uns Kindern völlig nackt, ohne dass dies ein Problem für ihre Überzeugungen oder ihr Milieu darstellte. Es war genau diese Offenheit und Modernität der jugoslawischen Gesellschaft in den 1960er- Jahren, die das FKK-Hotel Marina Lučica ermöglichte, während die engstirnige Antimodernität des heutigen Kroatiens diese Praxis nur als ein Instrument des jugoslawischen Kommunismus zur Unterdrückung traditioneller Werte erklären kann.

Fast 45 Jahre später ist die westliche Dekadenz für das kapitalistische und neoliberale, aber zutiefst konservative und katholische Kroatien ein größe- rer äußerer Feind, als sie es für das kommunistische Jugoslawien war. Selbst die Freikörperkultur wird als Angriff auf die traditionelle christliche Moral stigmatisiert und von den touristischen Angeboten praktisch ausgeschlossen: An der gesamten Riviera von Šibenik gibt es keinen einzigen FKK-Strand, geschweige denn ein FKK-Hotel. Auch das Hotel Marina Lučica existiert nicht mehr—dieses Denkmal einer Zeit und einer Gesellschaft, die den öffentlichen Raum respektierte, wurde wie alle anderen Denkmäler aus der Zeit des Sozialismus vernach- lässigt. Es wurde verwüstet, verlassen und ist heute von Unkraut überwuchert; einheimische Alkohol- und Drogenabhängige sowie Obdachlose sind eingezogen und haben es schließlich in ein verfallenes Denkmal einer rauen neuen Zeit und einer unersättlichen, gierigen neuen Gesellschaft verwandelt. Als Aleksandra Domanović als Neunjährige im August 1990 mit ihren Eltern in dem Hotel übernachtete, war der Tourismus in Dalmatien auf dem Höhepunkt, mit Rekordzahlen, die seither nie wieder erreicht wurden. Aber auch das politische Drama in Jugoslawien war auf seinem Höhepunkt: Die Berliner Mauer war gefallen, und als Antwort auf den aggressiven, hegemonialen Nationalismus des neuen serbischen Kommunistenführers Slobodan Milošević fanden im folgen- den Frühjahr in Kroatien Mehrparteienwahlen statt. Sie wurden von der Kroati- schen Demokratischen Union (HDZ) gewonnen, einer nationalistisch-populistischen Partei, die ernsthaft mit dem Erbe des von den Nazis unterstützten kroatischen Marionettenstaates während des Zweiten Weltkriegs liebäugelte. Als Reaktion auf den Wahlsieg der HDZ errichteten bewaffnete Rebellen aus den Gebieten mit serbischer Bevölkerungsmehrheit Barrikaden auf den Straßen vom Hinterland zur Küste und besetzten praktisch ein Viertel des kroatischen Staatsgebiets. Das war am 17. August 1990, nur einen Tag nachdem Aleksandra und ihre Eltern ihren Sommerurlaub in Dalmatien beendet hatten und nach Hause zurückgekehrt waren.

Die Domanovićs gehörten zu den letzten Gästen des Marina Lučica. Angesichts des drohenden Krieges flohen die Touristen in den folgenden Tagen aus Dalmatien, und bald war die Saison zu Ende. Der nächste Sommer begann mit der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens von Jugoslawien, dann brach der Krieg aus und leitete den endgültigen, blutigen Zusammenbruch Jugoslawiens ein. Der kroatische Tourismus brach zusammen, und der luxuriöse FKK-Kurort am felsigen Ufer gegenüber von Primošten wurde zunächst zu einem Stütz- punkt der kroatischen Armee und später zu einem Zentrum für die Unterbringung der vielen Geflüchteten—Kroaten, die aus den besetzten Gebieten vertrieben worden waren.

Als einige Jahre nach Kriegsende die letzten Vertriebenen das Marina Lučica verließen, war das ehemals staatliche Hotel eine verwüstete Ruine im Portfolio der kroatischen Agentur für Privatisierung. In einem typischen Fall von mafiöser Privatisierung verkaufte die Agentur das Marina Lučica an ein dubioses ungarisches Unternehmen, das erst wenige Tage vor dem Angebot mit einem gezeichneten Kapital von nur wenigen Tausend Euro gegründet worden war. Bis heute, dreizehn Jahre später, hat die ungarische Phantomgesellschaft keinen einzigen Euro in das Hotel investiert, sondern es mit Verbindlichkeiten für alle möglichen Kredite, dubiosen Finanzoperationen und Geldabschöpfungen belastet und die ehemaligen Mitarbeiter hinausgedrängt.

Wenn man fragt, warum das Hotel nicht einfach renoviert und wieder in Betrieb genommen wurde—eine naheliegende Frage, denn im Gegensatz zum Rest der privatisierten und filetierten kroatischen Wirtschaft ist der Tourismus nach wie vor die einzige rentable Ressource—, ist die Antwort einfach: Der so- zial verantwortliche Tourismus und seine Architektur sind zu eng für die Mathe- matik des skrupellosen Profitmachens. Wenn es nicht möglich ist, auf den Fundamenten eines heruntergekommenen sozialistischen Hotels ein glänzendes, zehnstöckiges Resort für aalglatte amerikanische Dotcom-Tycoons, arabische Scheichs, russische Oligarchen und chinesische Neureiche zu errichten, wird das seriöse Kapital die Aussicht umgehen, sich über das „geschäftsfeindliche Klima“ beschweren und das Unternehmen den korrupten lokalen Behörden und den lauernden Finanzhaien überlassen.

Ein anderes Hotel desselben Architekten, das weiter oben erwähnte Hotel Marjan in Split, ist ein gutes Beispiel dafür. Im Gegensatz zum Marina Lučica wurde das Hotel Marjan während der Privatisierungsphase von einem lokalen Tycoon mit astronomischen Ambitionen gekauft, der sogar das Amt des Bürgermeisters an sich riss, um seine Geschäftspläne voranzutreiben; er nutzte Steuergelder, um die Infrastruktur seines Privathotels in Ordnung zu bringen und fügte dann monströse Betonanbauten hinzu, die den ursprünglichen Entwurf von Perković unwiderruflich entstellten. Er verschuldete sich dabei massiv und ging schließlich in Konkurs, sodass das Hotel Marjan heute unvollendet dasteht, so wie ein gigantischer Grabstein für die mutierten Ambitionen seines Besitzers und den monströsen Geiz unserer Zeit. Während das Hotel Marjan nicht mehr existiert, ist paradoxerweise Perkovićs anderes Wahrzeichen in Split—das Gebäude des ebenfalls privatisierten, billig verkauften, zerstückelten und liquidierten sozialis- tischen Giganten Koteks auf der anderen Seite des Hafens—inzwischen Stock- werk für Stockwerk von den Herbergen und Apartments des nicht lizenzierten Tourismus übernommen worden, was zu einer improvisierten Hotel-Cum-Favela geführt hat.

Die Geschichte des berühmten Hotels Marina Lučica in Primošten kann auf die gleiche Weise gelesen werden: nicht nur als eine Geschichte der Vernach- lässigung des kulturellen Erbes, sondern auch als ein Beispiel für die Zeitge- schichte Kroatiens. Es ist eine Geschichte über den Niedergang jeder einzelnen der Qualitäten, für die das Gebäude jahrzehntelang stand. Zählen wir sie der Reihe nach auf: eine moderne, sozial verantwortliche Architektur; die aktive Koexistenz von Zeitgenössischem und Traditionellem; die Verantwortung der Wirtschaft und der Gemeinschaft für die Umwelt und den öffentlichen Raum; eine nachhaltige Entwicklung (das heißt ein Gleichgewicht zwischen Profit und sozialem Nutzen); ein Tourismusmodell, das Gastgeber und Gäste gleichermaßen respektiert; die kulturelle Modernität und Offenheit der Gesellschaft; die Erinnerung an und der Respekt vor dem eigenen Erbe; und schließlich ein Land mit eigener politischer Integrität und Souveränität.

Jede dieser Qualitäten ist in den Ruinen von Perkovićs harmonischem, kaskadenförmigem Gebäude aufgehoben, das von den eindringenden Kiefern- wäldern überwuchert wurde und in der gesellschaftlichen Vergessenheit verschwindet. Aber es geht nicht nur um die aufgegebenen Qualitäten: Wir haben es mit einer schwerwiegenden Schwäche zu tun, fast mit einem körperlichen Handicap der neuen Ära—einer Ära der rücksichtslosen und unersättlichen Profitakkumulation, frei von jeglichen sozialen Verpflichtungen oder Verantwortung gegenüber der Umwelt.

Die moderne, sozial verantwortliche Architektur wurde zunichtegemacht und durch ein monströses, kitschiges Design ersetzt, das den billigen Ge- schmack der Eigentümer und Gäste bedient. Die aktive Koexistenz von Zeitgenössischem und Traditionellem wurde zunichtegemacht und durch eine engstirnige, vorgefertigte Pseudotradition ersetzt, die von jeglicher Realität losgelöst ist.
Die Verantwortung der Wirtschaft und der Gemeinschaft für die Umwelt wurde abgeschafft und durch aggressive Metastasen von Privatinteressen im öffentlichen Raum ersetzt. Das Gleichgewicht zwischen Profit und sozialem Nutzen wurde durch die Unterdrückung des privaten Kapitals ersetzt. Das Modell des Tourismus, das Gastgeber und Gäste gleichermaßen respektiert, wurde durch eine globale Unterhaltungsindustrie ersetzt, in der der Gast eine Ware und der Gastgeber überflüssig ist. An die Stelle kultureller Modernität und politischer Offenheit ist ein gesellschaftlicher Neokonservatismus getreten, eine Abkehr von der Moderne, gepaart mit einer fast paranoiden Xenophobie. Der Respekt vor dem Erbe der letzten Jahrzehnte wurde durch eine gefährliche, irrationale Nostalgie für den Kommunismus zunichtegemacht und durch tiefes, dunkles Vergessen ersetzt.

Schließlich wurden die politische Integrität und Souveränität des Staa- tes, der das Marina Lučica erbaut hat, zunichtegemacht und durch romantische Symbole und Plastikaccessoires kroatischer Nationalität ersetzt—Spielereien für die unwissenden Einheimischen—, während der Großkapitalismus sein Unwesen treibt; weder das „unabhängige“ Kroatien noch seine Bürger besitzen heute irgendetwas von ihren Ressourcen, so wie Primošten nichts mehr mit dem Hotel zu tun hat, das einst Arbeit für seine Bürger bot und seine Besucher beherbergte.

Die unheimlichen, verlassenen Ruinen, die einer ungarischen Briefkastenfirma gehören, sind also mehr als nur die Überreste eines Hotels: Sie können als die Ruinen einer ganzen Epoche und Gesellschaft betrachtet werden. Nur oberflächliche Touristen und ihre oberflächlichen Gastgeber werden diese Epoche und Gesellschaft mit Konzepten des Sozialismus und Jugoslawiens in Verbindung bringen. Wie längst vergessene Städte im südamerikanischen Dschungel sind die Ruinen des Marina Lučica die Überreste einer ganzen, verlorenen Zivilisation, die von der rasenden, egoistischen neuen Zeit überrollt wurde und nun irgendwo an der felsigen Küste Dalmatiens in dichten Kiefernwäldern verschwindet.